REKTORIN DER STAATLICHEN AKADEMIE FÜR BILDENDE KUNST STUTTGART
Grußwort auf dem Gründungsfest
Sehr geehrter Herr Bürgermeister von Kirchbach,
sehr geehrter Herr Professor Oevermann,
sehr geehrte Frau Deschler,
sehr geehrter Herr Schindler,
meine sehr geehrten Damen und Herren –

Erlauben Sie, dass ich meinen Gruß zur Gründung der Freien Landesakademie Kunst heute mit einem zunächst etwas spröde wirkenden Verweis auf eine amtliche Drucksache beginne, die darüber hinaus nicht mal neu ist. Unter der Nummer 16/7000 des Deutschen Bundestags verbirgt sich der Abschlussbericht der Enquete-Kommission zur Lage der Kultur in Deutschland. Auch wenn dieser Bericht aus dem Jahr 2007 stammt – einige von Ihnen werden ihn in Teilen kennen –, ist er immer noch von erstaunlicher Aktualität und – was man eher nicht vermuten würde – Brisanz. Daher lohnt sich der Blick hinein, unter anderem um festzustellen, wie viele sinnvolle Anregungen bisher nicht aufgegriffen worden sind.

Doch darum geht es hier nicht. Warum also der Verweis an dieser Stelle? Interessant ist, wie präzise in dem Bericht Begrifflichkeiten geklärt und Perspektiven für das Berufsbild des Künstlers und der Künstlerin entwickelt werden – Themen, mit denen wir es auch heute Abend zu tun haben. Unter anderem geht es um die Frage, was wir unter jener Kreativität verstehen, die in der Gesellschaft auf unterschiedliche Weise wirkt und in Zukunft noch verstärkt wirken könnte.

Es heißt: „Der Kreativitätsbegriff ist umrankt von Mythen, Hoffnungen und Plattitüden (…). Es bedarf daher des vorsichtigen und reflektierten Umgangs mit ihm. In Versuchen von Organisationspsychologen konnten folgende Aspekte von Kreativität nachgewiesen werden: Offenheit (Neugierde, ästhetische Ansprüche, breite Interessen, Spaß an Mehrdeutigkeiten), Leistungsmotivation (Ehrgeiz, Ausdauer, Konzentration, Antrieb, Belohnungsaufschub), Nonkonformität (Originalität, Autonomiestreben, Unabhängigkeit des Urteils, Eigenwilligkeit), Selbstvertrauen (kreatives Selbstbild, emotionale Stabilität, Risikobereitschaft), Erfahrung (Werthaltungen, metakognitive Fertigkeiten). Nicht alle, aber die meisten der hier genannten Charakteristika treffen auf Künstler zu.“

Meine Damen und Herren, wenn ich Frau Deschler und Herrn Schindler heute alles Gute für die Arbeit der Freien Landesakademie Kunst wünsche, dann auch, weil ich als Rektorin der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart täglich damit konfrontiert bin, dass wir junge Menschen als kreative Persönlichkeiten ausbilden – im gerade genannten Sinn: offen, anspruchsvoll, motiviert, nicht konform, mit Selbstvertrauen und Risikobereitschaft – und dass diese Menschen nach Abschluss ihres Studiums daher oft viel mehr mitbringen als der klassische Berufsweg des Künstlers oder der Künstlerin im Atelier gemeinhin fordert.

Dass die meisten dieser jungen freien Künstlerinnen und Künstler darüber hinaus nach dem Studium in äußerst schwierigen finanziellen Bedingungen leben, macht es an einer Akademie, die in diesem Jahr ihr 250-jähriges Jubiläum feiert, umso notwendiger darüber nachzudenken, wo die Qualitäten, die mit einer Ausbildung in den kreativen Fächern verbunden sind, sinnvoll weiterentwickelt und beruflich eingesetzt werden können. „Neue Technologien und neue Berufsfelder“, so steht es schon in dem genannten Enquete-Bericht, „bieten den Kulturschaffenden neue Chancen, stellen aber auch neue Anforderungen. Ohne umfassende Aus-, Fort- und Weiterbildung werden diese Chancen von den Kunst- und Kulturschaffenden sowie den Kulturvermittlern auf dem engen Arbeitsmarkt nicht ausgeschöpft werden können.“

Auch diesen Fragen muss sich eine Kunsthochschule längerfristig stellen. Modelle wie die Freie Landesakademie können dabei hilfreich sein. Davon gibt es bisher viel zu wenige. Allerdings hat diese Vorstellung der Gewinnung neuer Berufsfelder für Künstler auch ihre Tücken: Ich bin kein Freund von der Tendenz, Kunst in allen möglichen Bereichen des Lebens und der Gesellschaft einfach zu verwerten – wie dies zum Beispiel in der Diskussion über die kulturelle Bildung häufig passiert. Künstler sind per se nicht die besseren Alleskönner. Ob in der Ganztagesbetreuung von Kindern, der Gestaltung sozialer Brennpunkte oder im Coaching von Top-Managern: Kunst kann, aber sie muss nicht hilfreich sein, wenn man sie in andere kunstfremde Kontexte einfach überträgt. Oft geschieht das mit großer Naivität und fehlender Kenntnis von beiden Seiten.

Vor diesem Hintergrund modischer Inbesitznahme der „Freien Künste“ interessiert mich das Konzept der Freien Landesakademie besonders, in der die künstlerische Arbeit vor allem als Haltung verstanden wird – eine Haltung, die unabhängig, „bei sich“ im Feld der Kunst bleibt und die von da aus in anderen Bereichen der Gesellschaft Anregungen zu veränderter Wahrnehmung geben oder Auslöser für neue Prozesse sein kann. Dass es dabei nicht darum gehen kann, an ungewöhnlichem Ort ein Bild an die Wand zu hängen, ist klar. Vielmehr ist der Ansatz ein konzeptueller, bei der die künstlerische Intervention als verbindendes Element neben Bildung, Wirtschaft und Sozialem beispielsweise steht.

Gleichwohl handelt es sich bei der Idee, der „Kunst einen Ort im Sozialen zu geben“, wie es im Programm der Freien Landesakademie heißt, um einen Balanceakt: Gleichberechtigung nicht „Kultur-Dienstleistung“ im einfachen Sinn muss das Ziel der Partnerschaften sein. Das aber hängt von Respekt und Erfahrung zusammen und damit vom Profil derer, die diese Partnerschaft eingehen. Für die Freie Landesakademie bedeutet das, vom Profil ihrer beiden Leiter und Lehrer.

Zur Begrüßung der Erstsemester an der Stuttgarter Kunstakademie zitiere ich gern den amerikanischen Künstler John Baldessari, der auf die Frage, ob man Kunst lehren und lernen kann, einmal geantwortet hat: „Ich glaube wirklich nicht, dass man Kunst lehren kann.“ Er hat dann aber hinzugefügt: „Was ich aber glaube ist, dass es zu den vielen Vorteilen einer Kunsthochschule zählt, dass die Studenten Künstlern begegnen, anderen ebenfalls tätigen Künstlern. Der Erkenntnisgewinn dabei liegt darin, dass sie sehen, dass Künstler Menschen sind; Kunst ist nicht irgendetwas Esoterisches, das in Büchern und Zeitschriften und Museen existiert, sie wird von richtigen Menschen gemacht (…)“

Richard Schindler hat in einer Vorlesung einmal gesagt – und das ergänzt Baldessaris Statement: „Es hat mit Vertrauen zu tun, wenn ich Ihnen offenbare, was mich beunruhigt und wie ich damit umgehe. Ich tue dies nicht, weil ich so vertrauensselig bin, sondern weil ich der Ansicht bin, dass die höchste Form des Studiums diejenige ist, die uns erlaubt, hinter die Kulissen zu schauen, teilzunehmen am Verfertigen von Gedanken und Bildern. Dazu ist auf Seiten der Lehrenden nicht mehr zu tun, als sich ein wenig zur Seite zu neigen, um Sie (die Studierenden) über die Schulter blicken zu lassen.“ Dass darin Chance und Risiko zugleich liegt, haben Sie, lieber Herr Schindler, in dieser Vorlesung selbst formuliert. Am Ende gehe es in dieser Form von Lehre nicht darum, Ergebnisse vorzustellen oder Resultate zu verkünden, sondern einen Weg zu gehen, etwas zu zeigen, vorzuführen, dass nur erfahrbar wird, indem man den Weg noch einmal geht, sich das Gezeigte noch einmal vergegenwärtigt.

Diesem Modell der Kunstlehre wird wohl auch die Lehre an der Freien Landesakademie entsprechen: junge Künstlerinnen und Künstler werden direkt eingebunden in die Praxis, in Prozesse der Begleitung und Beratung, wie sie Rita Deschler und Richard Schindler anbieten, und erhalten so die Möglichkeit zur Fort- und Weiterbildung. Im Gespräch und in der Auseinandersetzung mit anderen Berufsfeldern bietet sich die Möglichkeit, einige jener Fähigkeiten zu vertiefen und auszuprägen, die wir unter dem Begriff der Kreativität zusammenfassen. Das ist ein möglicher Weg für den künstlerischen Nachwuchs in Deutschland. Diesem Experiment wünsche ich alles Gute.

Petra von Olschowski
- Es gilt das gesprochene Wort -
Rektorin der Staatlichen Akademie für Bildende Kunst Stuttgart